Totaler Frieden ist kein Frieden

Der Krieg endet, sobald Russland aufhört, Ukraine zu vernichten

Ich war gegen den Irak-Krieg. Sowohl weil er auf Lügen gebaut wurde als auch wegen der katastrophalen Art und Weise, wie er geführt wurde. Gleichzeitig habe ich mich gefreut, als der despotische Diktator und Massenmörder Saddam Hussein und sein verbrecherisches Regime gestürzt wurden.

Ich bin gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und gegen jeden Krieg. Als mich die Einberufungsbehörde als Jugendlichen in Bratislava fragte, warum ich den Militärdienst verweigere, antwortete ich, dass ich Pazifist sei – die postkommunistischen Kommandanten, noch im Warschau Pakt des Ostblock ausgebildet, verstanden das Fremdwort nicht. Ich musste meinen Standpunkt ausführlich erklären.

Ich bin immer noch Pazifist und würde es sehr begrüßen, wenn die Welt lieber in die Kultur und Bildung statt in Waffen investieren würde. Dennoch finde ich, dass die angeblichen Friedensstifter von heute eklatante Heuchler sind, ich bin abgestoßen von ihrem falschen Getue, ich bin angewidert von ihren doppelzüngigen Märschen und immer neuen Petitionen und Manifesten.

Der Krieg ist sofort zu Ende, wenn der Angreifer Russland aufhört, die Ukraine zu vernichten. Der Frieden ist in greifbarer Nähe, es reicht, wenn der Kreml seine Truppen endlich zurückzieht. Die Ukraine wünscht sich nach neun Jahren nichts mehr, als von der aggressiven, imperialen Russischen Föderation endlich in Ruhe gelassen zu werden. Doch Putin weiß sehr wohl, was eine Niederlage für ihn und seine Schergen im Polizeistaat bedeuten würde.

Ukraine als Opfer des Angriffskrieges verdient alle militärische Hilfe, die jetzt von größter Bedeutung ist. Eine Stabilisierung des aktuellen Status quo würde bedeuten, Millionen von Menschen in den okkupierten Gebieten der Ostukraine der Ermordung, Vergewaltigung und Entführung zu überlassen.

Kurz nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad erklärte Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den totalen deutschen Krieg. Seine Rede wurde fanatisch bejubelt. Der Reichspropagandaminister wollte die immer brutalere Kriegstaktik der verbrannten Erde rechtfertigen und ordnete den zerstörerischen Zielen des Nationalsozialismus alles unter, sämtliche personellen und materiellen Ressourcen. Er hat damit das Volk auf die Formel „Sieg oder Untergang“ eingestimmt.

Heute fordern sehr viele Menschen, auch zahlreiche wichtige europäische Intellektuelle und KünstlerInnen, einen sofortigen Waffenstillstand, aber das ist eine große gefährliche Lüge, eine trügerische Illusion, die ich den totalen Frieden nenne. Einen Frieden, der den Macht- und Gewaltabsichten des russischen Aggressors untergeordnet ist. Ein Frieden auf Kosten der freien Ukrainer. Frieden im Interesse der kleptokratischen Regime, die ihre schmutzigen Geschäfte mit der Kreml-Oligarchie gerne fortsetzen wollen.

Vor einem Jahr hat Russland die Schlacht in Kiew verloren, und das war ein Schock für Putin. Wäre das nicht passiert, hätten auch die Slowakei, Ungarn oder Rumänien einen neuen, beängstigenden, expandierenden Nachbarn bekommen, also auch die ganze Europäische Union.

Alice Schwarzer, Hanna Schygulla, Jürgen Habermas oder Valie Export haben höchstwahrscheinlich keine Ahnung, dass ihre Unterschriften und Aufrufe „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“ auf der übelsten Art und Weise auf unzähligen osteuropäischen Fake-News-Kanälen missbraucht werden. Sie verstehen die slawischen Fremdsprachen nicht, haben diese unkontrollierte soziale Desinformationsmedien, die Kreml massiv verbreitet, nie gelesen oder gesehen. Die Meldungen mit anerkannten alten weißen Frauen und Männern aus dem Westen Europas untermauern die Argumente gegen die russische Kriegsschuld.

Die Propaganda des Kreml freut sich riesig über die Rechtfertigungen für die völkerrechtswidrige Invasion. Manipulierte Erzählungengeben dem NATO eine bedeutsame Schuld an der Eskalation in der Ukraine, sowie behaupten, Putin wird mit Panzerlieferungen provoziert, nur EU und USA stehen dem Frieden im Wege und bereichern sich an den Sanktionen gegen Russische Föderation. Die populären Propagandaseiten fluten die verunsicherte Öffentlichkeit mit vielen unterschiedlichen, oft trivialen oder grotesken Erklärungen der komplexen Ereignisse, so dass sie das Gefühl hat, gar nichts mehr sicher zu wissen und keiner Quelle mehr vertrauen zu können. Die Sympathie für die Opfer von Butscha oder Irpin wird unmöglich gemacht.

„Kompromisse auf beiden Seiten machen“ und „Verhandeln heißt nicht kapitulieren“ lese ich im Manifest für Frieden und traue meinen Augen nicht. Den Informationskrieg haben wir offensichtlich längst verloren. Die westlichen Staaten haben gegenüber russischen hybriden Bedrohungen die Geschlossenheit untereinander kaum gestärkt. Wie gut, dass Georgi Schukow in Stalingrad mit Friedrich Paulus nicht kompromissbereit war.

Der totale Krieg der Nazis war kein Krieg, sondern ein Völkermord. Der totale Frieden ist kein Frieden, weil er den russischen Genozid rechtfertigt und seine Fortsetzung zulässt. Der totale Frieden wäre ein Verrat an der Ukraine, unser gemeiner Dolchstoß nach neun Jahren des russischen Angriffskriegs. Friedensstifter, marschiert vor den russischen Botschaften in ihren Hauptstädten und schickt ihre Petitionen und Manifeste nicht an die Redaktionen westeuropäischer Medien, sondern an den Moskauer Kreml!

Michal Hvorecky, Bratislava